(bkw, 21.10.2016) Stand: Regeltext, 45. Aufl. 2013, RI 01-15. Die Regel 11.1 - "Über das Netz reichen" - die für die meisten Volleyballer wohl unter dem Begriff Übergreifen geläufig ist - unterscheidet in Regel 11.1.1 zum einen die Situation beim Blocken des Balles und zum anderen in der Regel 11.1.2 die Situation bei der der Angriffsspieler seine Hände nach dem Angriffsschlag über das Netz führt. Ob ein Ball mittels "Übergreifen" gespielt wurde, hat der 1. Schiedsrichter zu beurteilen.
Bei der Beurteilung von Fehlern im Sinne der Regel 11.1 müsst Ihr immer im Hinterkopf haben, dass grundsätzlich jede Ballberührung einer Mannschaft, im eigenen Spielraum statt zu finden hat (vgl. Regel 9). Trifft dies nicht zu, ist anhand der Regel 11.1 zu ermitteln, ob ausnahmsweise die Berührung des Balls im gegnerischen Spielraum "durch über das Netz reichen" zulässig war, wobei auch hier der Gegner nicht daran gehindert werden darf, den Ball, im Rahmen seiner zulässigen drei Ballberührungen, gem. Regel 9.1 zu spielen.
Ein Spieler darf beim Blocken den Ball auf der gegnerischen Seite berühren, vorausgestezt, dass er das Spiel des Gegners weder vor noch während dessen Angriffsschlages behindert.
"Behindern" ist nicht richtig übersetzt. Im englischen Originaltext heißt es "In Blocking, a player may touch the ball beyond the net, provided that he / she does not interfere with the opponents's play before or during the latter's attack hit." "Interfere with" bedeutet "störend beeinflussen / beeinträchtigen" und noch nicht "behindern". Dies ist auch logisch, denn in Regel 11.4.4. werden Situationen beschrieben in denen ein Spieler das gegnerische Spiel beeinflusst, wobei in Regel 11.4.4, Variante 4 klar gestellt wird, dass eine Beeinflussung auch vorliegt, wenn der Gegner bei seiner Aktion behindert wird ("Aktionen, die den Gegner bei dessen erlaubtem Versuch, den Ball zu spielen, behindern").
Hierzu heißt es auch im englischen FIVB Regeltext ausdrücklich "... making actions which hinder an opponent's ligitimate attempt to play the ball."
Klingt kompliziert, aber:
Wer sich einem Spieler in den Weg stellt, der beeinflusst ihn nicht nur, der behindert ihn unmittelbar.
Wer am Netz mit dem Oberkörper im anderen Feld liegt, ohne dass ein gegnerischer Spieler in der Nähe ist, der behindert zwar keinen Spieler, kann aber das Spiel Gegners hierdurch beeinflussen, wenn z.B. der Zuspieler davon absieht, den nächsten Pass dort hin zu spielen.
Es stellt sich also nun die Frage, in welchen Fällen das Spiel des Gegeners im obigen Sinne "behindert" wird. Dabei ist die Regel 11.1.1 nicht isoliert zu betrachten, sondern die Regel 14.3 (Blocken im gegnerischen Raum) ergänzend zur Auslegung hinzuzuziehen.
Beim Blocken darf ein Spieler seine Arme und Hände über das Netz führen, wenn diese Aktion das Spiel des Gegners nicht behindert.
Anmerkung zur Regel 14.3: Auch hier spricht der originale Regeltext wieder von einer störenden Beeinflussung und nicht von einer Behinderung!
Die kombinierte Regel zum "Übergreifen" beim Blocken könnte damit wie folgt lauten:
Ein Spieler darf beim Blocken die Hände über das Netz führen und den Ball auf der gegnerischen Seite berühren, vorausgesetzt, dass er das Spiel des Gegners weder vor noch während dessen Angriffsschlages behindert.
(Achtung: Dies ist kein offizieller Regeltext!)
Damit können nun zwei Aktionen unterschieden werden:
Wichtig: In den Erläuterungen zu Regel 11.4.4, die - wie bereits geschildert - die Behinderung des Gegners als Fehler aufzeigt, wird klar gestellt:
"Spielhandlungen können auch Aktionen sein, in denen der Spieler den Ball im Augenblick nicht berührt".
Stellt Euch die Situation vor, in der ein Zuspieler den Ball dicht am Netz spielen möchte. Der groß gewachsene gegnerische Blockspieler springt und führt die Hände über das Netz zum Zuspieler, er hält also quasi die Hände über dessen Kopf, berührt aber weder den Zuspieler oder den Ball. Fehler?
Einige würden sagen, nee.. das war ja keine Ballberührung - daher auch kein Fehler beim Blocken... Diese Ansicht ist dabei jedoch sehr einseitig, denn faktisch kann hier der Gegner durch die Aktion eben nicht mehr ungestört seine Aktionen ausführen. Damit beeinflusst der Block durch das Führen der Hände über das Netz das Spiel des Gegners, so dass bei dem geschilderten Sachverhalt von einem Fehler – auch ohne Ballberührung – auszugehen ist!
Nochmals: Eine Aktion ist auch dann eine Aktion, wenn der Ball dabei nicht berührt wird (s.o. Erläuterungen zur Regel 11.4.4).
Ihr könnt Euch auch die Frage stellen, ob denn überhaupt von dem oben bezeichneten Grundsatz, dass die Berührungen einer Mannschaft grundsätzlich in ihrem eigenen Spielraum erfolgen müssen, abgewichen werden darf. Die Regel 11.1.1 beginnt mit "Ein Spieler darf beim Blocken..." . Lag hier überhaupt ein "blockbarer" Ball vor? Dies wiederum kann zumindest dann verneint werden, wenn kein Angriffsschlag erfolgte und dies führt zur nächsten Problemstellung "Ballberührung vor oder während des Angriffsschlages"...
Es gilt das zuvor gesagte, wenn der Gegner seine Aktionen nicht ausführen kann, weil der Blockspieler eingreift, bevor die erlaubte Anzahl der Berührungen erfolgen konnte, dann ist dies nicht erlaubt!
Angriffsschläge im Sinne der Regel 13.1.1 sind zunächst einmal "Alle Aktionen, bei denen der Ball in Richtung des Gegners gespielt wird, ausgenommen Aufschlag und Block,...".
Streng genommen ist somit auch jede Annahme oder Abwehr ein Angriffsschlag, wenn der Ball dabei in Richtung des Gegners gespielt wird. Die viel verbreitete These, dass "der erste oder zweite Ball nicht geblockt werden darf" ist damit widerlegt und falsch. Jeder Ball der in Richtung des Gegners gespielt wird, ist ein Angriffsschlag und darf auch (eigentlich) geblockt werden.
Eigentlich... Und jetzt wird es spannend... Der Schiedsrichter könnte sich nun der Überlegung hingeben: "Prima. Übergreifen gibt es dann ja nicht." Das wäre aber zu einfach und reduziert den Regeltext unzulässig.
Beim Übergreifen oder dem Führen der Hände über das Netz hat der 1. Schiedsrichter zu beurteilen, ob der in Richtung des Gegners gespielte Ball ausnahmsweise im Spielraum des Gegners berührt werden darf, was der Fall ist, wenn dies nach einem Angriffsschlag erfolgt.
Ein Angriffsschlag ist dann zumindest nicht anzunehmen, wenn ein anderer Spieler der Mannschaft den Ball noch erreichen und er ihn im Rahmen der zulässigen Berührungen weiter spielen wird.
Beispiel: Die perfekte Annahme zum Zuspieler, der zwar recht dicht am Netz steht, den Ball aber noch im Rahmen der zulässigen Berührungen weiter spielen wird (Zuspiel), ist kein auf der Seite des Gegners zu blockender Angriffsschlag. Er wird zwar zum Gegner gespielt, wird diesen jedoch unmittelbar nicht erreichen. Es liegt ein Blockfehler vor!
Anders wäre die Situation, wenn kein Spieler mehr an den Ball kommen kann. Dann kann auch die dicht ans Netz gespielte Annahme geblockt werden! Ob ein Ball noch von einem Spieler zu erreichen ist, hat der 1. Schiedsrichter zu beurteilen.
Beispiel: Ein Angriffsschlag nach einem bzw. durch das Zuspiel ist aber zu bejahen, wenn der Ball nur leicht in die Richtung des Gegners (also nicht mehr parallel zum Netz) gespielt wird, z.B. wenn der Zuspieler den Ball im spitzen Winkel zum Netz zu seinem Angreifer spielt. Dieser Ball kann grundsätzlich uneingeschränkt geblockt werden! Als 1. Schiedsrichter müsst Ihr also genau beurteilen, wird der Ball (noch) parallel zum Netz gespielt (dann kein Angriffsschlag) oder wird der Ball (schon) in Richtung des Gegners gespielt (dann liegt ein Angriffsschlag vor). Ein unsauberes Zuspiel oder auch das Problem, wenn ein Zuspieler die missglückte Annahme aus dem Hinterfeld im Winkel zum Netz spielen muss, macht die Berührung des Zuspielers und damit das Zuspiel zu einem Angriffsschlag und darf grundsätzlich geblockt werden (Einschränkungen, s.o.)!
Entscheident ist damit nicht, wie weit man in das gegnerische Feld "übergreift". Es ist schlicht zu fragen, ob ein Übergrefen, egal wie weit, überhaupt zulässig ist, was immer dann der Fall ist, wenn ein Angriffsschlag vorlag. Mehr zum Thema Angriffsschlag könnt Ihr bei der Erläuterung zur Regel 13 - Angriffsschlag erfahren.
Ein Spieler berührt den Ball oder einen Gegner im Spielraum des Gegners vor oder während des gegnerischen Angriffsschlages.
Nur zur Vollständig ist hier der entsprechende Spielfehler aufgeführt.
Nach dem Angriffsschlag darf ein Spieler seine Hände über das Netz führen, wenn der Ballkontakt im eigenen Spielraum statt gefunden hat.
Die Regel 11.1.2 betrifft nicht die Situation des Übergreifens beim Blocken, sondern das Übergreifen beim / nach dem Angriffsschlag. Klargestellt wird, dass auch beim Angriffsschlag (und so sollte diese Regel gelesen werden) zwingende Voraussetzung ist, dass die Berührung des Balles im eigenen Spielraum zu erfolgen hat. Nach dem Angriffsschlag, darf die Hand / dürfen die Hände über das Netz geführt werden.
Nochmals: Denkt an die Regel 9 - "Jede Mannschaft muss innerhalb der eigenen Spielfläche und des eigenen Spielraums spielen...".
Die Berührung im gegnerischen Spielraum an sich und damit auch die Berührung im gegnerischen Spielraum beim Blocken hat immer "passiv" zu erfolgen. Wenn die Ballberührung "aktiv" auf der anderen Seite ausgeführt wird, also die Hände mehr als notwendig bei der Aktion genutzt werden, dann ist das ein Fehler, denn die Berührung stellt einen Angriffsschlag dar.
Dies gilt inbesondere für durch Handbewegungen herbei geführte Richtungsänderungen des Balles, wenn diese nicht bloß darauf zurückzuführen sind, dass der Ball durch eine angewinkelte Handhaltung (Außenblock dreht die äußere Hand leicht ein) abgelenkt wurde. Beliebt sind Aktionen, bei denen ein Blockspieler den Ball aktiv nach links oder rechts schubst. Wenn die Ballberührung dann nicht innerhalb des eigenen Spielraums statt gefunden hat, muss dies als "Übergegriffen" abgepfiffen werden!
Schaut also als 1. Schiedsrichter genau hin, wenn sich solche Situationen ergeben!
Interessant ist die Situation, bei der ein Angriffsspieler nach einem Angriffsschlag - mit Berührung des Balls im eigenen Spielraum - die Hände über das Netz führt und hierdurch der Gegner beeinflusst wird.
Ihr könntet Euch auf den Standpunkt stellen, dass es das eigene Problem des Angriffsspielers ist, wenn er nach dem Angriffsschlag seine Hände über das Netz führt und hierdurch einen Gegner beeinflusst. Und genau so ist dies auch zu sehen.
Da es schon grundsätzlich nicht erlaubt ist, durch das Führen der Hände in den gegnerischen Raum das Spiel des Gegners zu beeinflussen, und damit auch das über das Netz reichen lediglich eine Ausnahme von der Regel ist, muss eine folgende Beeinflussung das Problem des Übergreifenden sein.
Ausführung: Eine Hand mit der Handfläche nach unten über das Netz halten.
Regelgrundlage: 11.4.1, 13.3.1, 14.3, 14.6.1, 23.3.2.3c
Erläuterung: Entgegen der Beschreibung ist hier nicht nur die Hand, sondern auch der Unterarm über das Netz zu halten. Wenn das Netz zu weit weg sein sollte, dann haltet Ihr die Hand entsprechend über das Spannseil.
Wichtig: Bei diesem Handzeichen findet keine Klappbewegung statt und es ist somit von dem Handzeichen 21 (Fehler beim Angriffsschlag) abzugrenzen.